Iwan Müller (1786-1854), in Reval (Estland) geborener deutscher Klarinettist, entwickelte um 1810 eine komplett neue Klarinette mit 13 luftdichten Klappen, die
„clarinette omnitonique“ oder „Inventions-Klarinette“ genannt wurde.
Die 13-klappige Klarinette nach Iwan Müller bedeutete einen Quantensprung in der Entwicklung des Instruments, wie Albert Rice/Nicolas Shackleton festhielten1).
Müller ergänzte die bekannte 6-klappige Klarinette mit verschiedenen Erweiterungen, die allesamt einzeln schon auf älteren Instrumenten (Klarinetten oder
Bassetthörnern) existierten.
Müllers Leistung liegt vor allem darin, sie auf der Sopranklarinette zusammengeführt zu haben.
1) eine offene Klappe am Unterstück für f/c2, die das tiefer gelegte Tonloch abdeckt
2) eine quer liegende geschlossene Klappe am Unterstück für b/f2, bedient mit dem Ringfinger der rechten Hand
3) eine geschlossene Längsklappe auf der rechten Seite des Unterstückes für ein verbesserte h/fis2, bedient mit dem Ringfinger der rechten Hand
4) eine Querklappe am Oberstück für es1/b2, bedient durch den Ringfinger der linken Hand
5) eine Längsklappe am Oberstück für f1/c3, bedient durch den rechten Zeigefinger
6) eine die a1-Klappe kreuzende gis1-Klappe am Oberstück
7) eine lange Trillerklappe für den Triller a1-h1 am Oberstück, bedient durch den rechten Zeigefinger
Weiter
A) verlegte er die Überblasklappe von unten an die Seite des Oberstücks
B) brachte er eine Drehklappe am Unterstück an, um die as/es2-Klappe alternativ mit dem rechten Daumenen öffnen zu können
C) eine Gabelung des Klappengriffs fis/cis2, ebenfalls mit dem rechten Daumen zu öffnen
Zudem liess Iwan Müller die Tonlochränder kantig zu einem erhabenen, konischen Ring ausfräsen, dem sogenannten Zwirl, und entwickelte ballenförmige Polster in
sogenannten Salzlöffelklappen, die ein präzises Abdichten (und geräuschloseres Schliessen) des Tonloches ermöglichten. Er befestigte das Blatt auch nicht mehr mit einer Schnur, sondern führte die
metallene Ringschraube ein. Wichtigste Änderung war aber die Vergrösserung der Tonlöcher und ihre Positionierung nach akustischen Grundsätzen, womit eine bessere In-Sich-Stimmung der Klarinette
und ein grösseres Tonvolumen erreicht wurde.
Sämtliche Klappen auf Müllers Instrumenten waren an kleinen Säulchen, welche auf Metallplättchen stehend auf das Instrument geschraubt wurden, angebracht. Dieses
Design wurde ab ca. 1820 von allen französischen Herstellern verwendet, während anderswo die Klappen noch lange auf Böckchen befestigt wurden.
Die beiden Klappen für den rechten Daumen konnten sich nicht richtig durchsetzen. César Janssens Erfindung der Rollen verdrängte sie später vollständig.
Müllers Clarinette omnitonique erleichterte das Spiel in allen Tonarten erheblich. Müller war der Ansicht, dass seine Klarinette Instrumente in anderer als B-Stimmung völlig überflüssig machen würde, was er in seiner "Anweisung zu der neuen Clarinette und der Clarinette-Alto" (frz. 1821, dt. 1826) auch selbstbewusst verkündete: "Um zu dem Resultate meines Strebens zu gelangen, musste ich zwischen der A, B, und C-Clarinette wählen. Ich glaubte, bey der B-Clarinette bleiben zu müssen, als welche die Mitte zwischen den beiden anderen hielt. Wenn das Vorurtheil, welches gegen eine Neuerung jederzeit statt findet, bekämpft seyn wird, wenn endlich junge Künstler die Ueberlegenheit dieses neuen Instrumentes über die bisherigen werden eingesehen haben: so wird sich der Gebrauch der verschiedenen Clarinetten in C, B, und A unfehlbar verlieren."
Obwohl Müllers Klarinette am 12. Mai 1812 von einer Kommission des Pariser Conservatoire (der neben anderen Jean-Xavier Lefèvre und Luigi Cherubini angehörten) abgelehnt wurde, nahmen nahmhafte Pariser Instrumentenbauer Müllers Ideen sogleich auf. Zwei Jahre später erlaubte das Conservatoire die Verwendung seiner Instrumente.
Müllers Erfindungen waren grundlegend für spätere Entwicklungen sowohl im französischen wie im deutschen Klarinettenbau, wie Eric Hoeprich richtig darlegt2):
Während deutsche Instrumentenbauer viele klappentechnische Aspekte von Müller übernahmen, sind seine grossen Tonlöcher sowie das frühe konische Auseinandergehen der Bohrung typisch für spätere französische Instrumente.
Das 13-klappige Müller-System
Auf Müllers Erfindungen basierende Klarinetten mit 13 Klappen werden unter der Bezeichnung Müller-System zusammengefasst. Adolphe Sax wird die Erfindung der Brillen- oder Ringklappe zugeschrieben. Eine solche Brille am Unterstück ersetzt die etwas mühsam zu bedienende Seitenklappe für den rechten kleinen Finger. Müller-Klarinetten mit einer solchen Brillenklappe werden Müller-Sax-System-Klarinetten genannt.
Auf dem Müller- oder Müller-Sax-System basierende Klarinetten in meiner Sammlung mit Zusätzlichen Klappen werden als erweitertes Müller-(Sax-)System
bezeichnet.
links: Müller-System mit Klappe für H5
rechts: Müller-Sax-System mit Sax-Brille
Quellen:
1) Nicholas Shackleton, Albert Rice: César Janssen and the Transmission of Müller's 13-Keyed Clarinet in France. The Galpin Society Journal, Vol. 52 (April
1999), pp. 183-194. Dieser Aufsatz beinhaltet eine sehr akkurate Beschrebung von Müllers Neuerungen.
2) Eric Hoeprich: The Clarinet, Yale Musical Instrument Series (2008)
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B-Klarinette
Müller-System
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B-Klarinette 14 Klappen
Müller-System